Die Arbeit an Problemverhalten bedeutet immer auch die Arbeit an den Emotionen

Wie oft haben wir das schon gehört: wir Hundeerzieher, die sich an der Lerntheorie entlang hangeln und immer mit über Konditionierung arbeiten – wir reduzieren unseren Hund auf einen Roboter, der mechanische Abläufe lernt. Konditionierung wird von einigen Hundeleuten als etwas so Negatives dargestellt. Dabei ist es weit ab von mechanischem Training, sind wir doch sehr nach dran an der Arbeit mit Emotionen!

Ein Beispiel aus unserem Trainingsalltag

Schauen wir uns die Arbeit an Problemverhalten an und nehmen wir ganz praktisch ein Beispiel aus dem Alltag: Rüde Rocky pöbelt an der Leine, wenn ihm andere Hunde entgegenkommen. Am Anfang waren es vielleicht nur Rüden, mittlerweile ist es alles – egal ob groß oder klein, männlich oder weiblich.

Nun haben wir verschiedene Möglichkeiten uns dem Problem zu nähern. Selbstredend lassen wir erst einmal alle Strategien, die aversive Maßnahmen beinhalten, raus. Dann bleiben uns immer noch unzählig viele Möglichkeiten, an dem Thema zu arbeiten. 

Jeder hat sicherlich so seine favorite Trainingstechnik, wie er die Bearbeitung von Problemverhalten angeht. Sei es über Grundgehorsam, BAT, Zeigen und Benennen, Click for blick und noch unzählige mehr. Sie alle haben sicherlich ihre Daseinsberechtigung. In diesem Artikel mochte ich aber die Veränderung der Emotionslage in den Vordergrund stellen..

Blick ins Feld

Pawlow sitzt immer auf unserer Schulter

Nehmen wir nur erst einmal die gute alte klassische Konditionierung. Nicht ohne Grund heißt es so schön: Pawlow sitzt immer auf unserer Schulter. Klassische Konditionierung passiert die ganze Zeit: neue Reize werden je nachdem, in welchem Kontext sie auftreten, rein durch ihre zeitliche Überlappung mit anderen Reizen als attraktiv oder aversiv eingestuft. Machen wir ein ganz einfaches Beispiel: ich liebe die Nordsee: sie ist bei mir verknüpft mit langen Strandspaziergängen, Sonnenschein, einer leichten Brise, unendliche Weite. Ihr habt ein Bild. Meine Freundin war auf meine Empfehlung hin ein paar Wochen später dort. Und was soll ich sagen: es regnete wie aus Kübeln, war stürmisch, der Sand peitscht ins Gesicht und im Zweifel war gerade Ebbe und das Meer nicht zu sehen. Ob sie diesen Ort genauso gerne wieder aufsucht wie ich? Unwahrscheinlich, wurde doch über klassische Konditionierung der Ort mit bereits unangenehmen Reizen wie Sturm und Regen verknüpft. Denken wir beide im Nachhinein an diesen Ort, wird bei mir eine freudige Erinnerung geweckt, bei ihr wohl eher Enttäuschung.

Das Blöde: wir wissen nicht, was das jeweilige Individuum gerade verknüpft. Doch eins ist klar. Es passiert über klassische Konditionierung.

Was das mit unserem alltäglichen Training am Hund zu tun hat? Enorm viel: denn auch hier sitzt Pawlow immer auf unserer Schulter. Der zu trainierende Hund hat bereits negative Verknüpfungen mit seinem Gegenüber gemacht. Der Hund wurde bereits als aversiver Reiz abgestempelt. Was könnte der Hund noch verknüpft haben?

  • die Umgebung, in der vielleicht ein unangenehmer Vorfall mit einem anderen Hund passiert ist
  • die Bezugsperson, weil sie in dem Moment die Leine kurz genommen hat und der Vierbeiner nicht ausweichen konnte
  • die anstehende Leine wurde mit Frustration verknüpft: man will zum Artgenossen hin, es geht aber nicht, weil die Leine ansteht. Frust kommt auf. Das Individuum wird wütend, Aggressionsverhalten tritt an die Oberfläche

Die Liste kann sicherlich noch um einiges erweitert werden. Was genau der Hund verknüpft hat, wissen wir nicht. Wir können es nur anhand des Ausdrucksverhalten beobachten. Sicherlich sind aber die angetriggerten Emotionen in diesem Moment nicht positiv.

Emotionen des Hundes

Emotionen – Überlebensprogramme

Emotionen lassen sich nicht bewusst steuern. Sie werden durch die erste Bewertung der eintreffenden Reize im limbischen System und hier vor allem im emotionalen Zentrum, dem Mandelkern aktiviert, noch bevor der denkende Bereich der Großhirnrinde Einfluss nehmen kann. Das macht ja auch Sinn, sind Emotionen ja auch Überlebensprogramme, die in kritsichen Situationen über Leben und Tod entscheiden. In bestimmten Situationen Angst zu haben, ist durchaus eine sinnvolle Maßnahme des Gehirns.

Das erste reflexive Gepöbel meines Hundes ist also vielleicht gar nicht willentlich gesteuert. Dann kann ich es doch gar nicht bearbeiten? Doch, das geht. Und zwar über die gute alte klassische Konditionierung, hier in Form der Gegenkonditionierung.

Gegenkonditionierung – mehr als „schön füttern“

Die alt bekannte klassische Gegenkonditionierung ist der Versuch einen bereits als aversiv eingestuften Reiz durch Kopplung mit einem attraktiven Reiz selbst auch wieder attraktiv zu machen. Viele sprechen auch vom sogenannten „schön füttern“. Ich stecke also Kekse in den Hund, solange der andere Hund präsent ist, verschwindet das Gegenüber, hört auch der menschliche Futterautomat auf.

Die schlechte Nachricht: wenn ich Gegenkonditionierung so aufbaue, dann wird sich die Tür hin zur Ansprechbarkeit des Hundes nur ein ganz kleines Stück öffnen, wenn überhaupt.

Ich mache es wieder an unserem menschlichen Beispiel fest: meine Freundin mag die Nordsee nicht, sie hat sie aversiv verknüpft. Nun gibt sie mir und der Nordsee noch einen Versuch und wir reisen gemeinsam noch einmal dorthin. Nehmen wir an, sie isst für ihr Leben gerne Eiscreme. Dann wäre nach oben beschriebenem Aufbau mein Job: sobald wir den Strand betreten. packe ich Eiscreme in sie rein. Bei schönem Wetter wird das sicherlich ihre Stimmung etwas heben, kommt aber der erste Regentropfen oder vielleicht auch einfach ein gewiises Sättigungsgefühl oder Übelkeit von der gesamten Eiscreme, dann ist es mit der guten Laune wieder vorbei. Wenn ich Pech habe, mag sie sogar Eis gar nicht mehr so gerne.

Und nun? Ich kenne ja meine Freundin gut: außer Eiscreme gibt es verschiedene Dinge, die sie gerne mag: sie hört gerne Musik, vielleicht wollte sie immer mal wieder auf ein Surfbrett. Kurzum: ich verknüpfe den Ort mit vielen verschiedenen Reizen und Aktivitäten, die ihr Spaß machen! Und schon hab ich die Emotionslage gedreht. Ich hab einen emotionalen Puffer geschaffen, beim ersten Regentropfen wird sie nicht gleich wieder in Depressionen verfallen.

Was heißt das nun in der Arbeit mit dem Hund? Gegenkonditionierung ist so viel mehr als reines „Schön füttern“. Ich verknüpfe die Situationen mit vielen tollen Attraktionen. Dafür braucht es nur ein bisschen Vorarbeit: ich muss wissen, was mein Hund so richtig gerne mag und ich muss wissen, welche attraktiven Ereignisse er in dieser Situation annehmen kann.

So fang ich an

Meine erste Aufgabe ist also, meinen Hund über einige Tage genau zu beobachten und zu schauen, welche Dinge er wirklich gerne mag: das können Interaktionen mit dir sein, das können Dinge aus dem Jagd- oder Erkundungsverhalten sein, das können aber auch einige Lieblingsfutterbelohnungen sein. Je größer die Bandbreite, umso besser. Viele kennen das Ganze sicherlich unter dem Begriff Top 20 Liste. Hier ein Beispiel meines Hundes:

TOP 20 Liste

Ich habe bewusst den Kontext mit notiert, ist doch häufig Verhalten an einen bestimmten Kontext geknüpft. Im nächsten Schritt gilt es herauszufinden, welche Attraktionen dein Hund im schwierigen Kontext gut annehmen kann. Je mehr desto besser.

Gegenkonditionierung – so kann es aussehen

Weiterhin müssen wir schauen, was genau gegenkonditioniert werden soll. Ist es der Ort, den der Hund bereits negativ abgespeichert hat? Ist es ein bestimmter Hundetyp? Reagiert der Hund bereits auf Vorboten? Das Klimpern der Hundemarke, das Kurznehmen der Leine durch die Bezugsperson können ebenso zurAuslöserliste gehören.

Nehmen wir in unserem Fall einmal an, es ist ein bestimmter Ort, an dem der Hund mit Aggressionsverhalten reagiert, hier gab es bereits die ein oder andere unschöne Begegnung. Nun sind wir an der Reihe. Sobald wir uns dieser Stelle nähern, machen wir richtig gute Laune. Wir reihen eine Attraktion nach der anderen hintereinander weg. Wir machen also einige Minuten richtig gute Laune. Auch so kann Gegenkonditionierung aussehen.

Was passiert: die Emotionslage des Hundes ändert sich, Aggression oder Angst werden gedämpft, SEEKING, die Gute-Laune Emotion, die wir rund um Jagd- und Erkundungsverhalten mit an Bord haben, ist aktiviert. SEEKING ist eine extrem positive Emotion, die sehr störungsresistent ist. 

Was hilft uns das jetzt: Wir haben die Emotionslage verändert, wir haben die Tür zur Ansprechbarkeit unseres Hundes ein deutliches Stück aufgemacht um nachhaltig alternative Strategien zu lernen. Denn durch die Aktivierung der Emotion SEEKING haben wir noch eins geschafft: wir haben den Hund durch die Interaktion mit uns wieder in den Kooperationsmodus bekommen. Das limbische System und vor allem der Mandelkern kann nun durch die Großhirnrinde gedämpft werden, der Hund kann wieder auf Signale reagieren. Nun liegt es an uns, dem Hund alternative Verhaltensstrategien beizubringen. Je mehr Möglichkeiten der Hund lernt, sich in schwierigen Situationen akzeptabel zu verhalten, desto deutlicher tritt das eigentliche Problemverhalten in den Hintergrund, Der Hund muss immer seltener Aggressionsverhalten zeigen.

Das klingt so einfach? Das ist es im Prinzip auch, vorausgesetzt, man hat den jeweiligen „Problemfall“ gut analysiert und hat die direkten Auslöser des Hundes erkannt und auch die Funktion des unerwünschten Verhaltens. Denn eins muss klar sein: kein Hund verhält sich einfach so, Verhalten hat immer eine Funktion, Verhalten hat immer Verstärker, die es aufrecht erhalten und weiter ablaufen lassen. 

Kurzum: über Konditionierung können wir effektiv und nachhaltig die Emotionslage verändern. Was es braucht:

  • eine gute Beobachtungsgabe unsererseits
  • eine aktuelle TOP 20 Liste
  • die Auslöser des Problemverhaltens, die gegenkonditioniert werden müssen
  • jede Menge Spaß, denn auch die Arbeit an Problemverhalten kann Spaß machen!

Du möchtest mehr über die Arbeit rund um Problemverhalten und bedürfnisorientiertes Training erfahren, dann registrier dich für meinen Newsletter!

"






Bleibe mit mir in Kontakt

Erhalte aktuelle Informationen und Neuigkeiten aus erster Hand

Marketing von

*Mit dieser Anmeldung erhältst du regelmäßig Ideen, Inspirationen und die neuesten Angebote. Die Angabe deines Vornamens ist freiwillig und wird nur dazu genutzt, dass ich dich im Newsletter persönlich ansprechen kann. Deine Einwilligung für den Erhalt meines Newsletters ist jederzeit widerruflich per Link direkt im Newsletter / per E-Mail: kontakt@drkatrinvoigt.de  oder an die im Impressum angegebenen Kontaktdaten. Informationen zu den Inhalten, der Protokollierung deiner Anmeldung, dem Versand über den Anbieter ActiveCampaign und der statistischen Auswertung findest du in der Datenschutzerklärung.