Warum es so wichtig ist, auf die Bedürfnisse seines Hundes Rücksicht zu nehmen…

Häufig werde ich im Alltag damit konfrontiert, dass auf die Bedürfnisse des Hundes wenig Rücksicht genommen wird. Nicht falsch verstehen, ich meine nicht, dass du nicht fürsorglich mit deinem Hund umgehst! Sondern: Du interpretiert, was das Beste für ihn ist. Vielleicht bist du dabei das ein oder andere Mal egoistisch und betreibst lieber die Aktivitäten mit dem Hund, die dir Spaß machen, deinem Hund aber gar nicht so sehr Befriedigung bringen..

Ein Beispiel aus dem Menschenleben…

Stell dir vor: Du hast einen neuen Job angefangen und dein zukünftiger Chef hat dir eine Firmenwohnung zur Verfügung gestellt. Einen Firmenwagen gibt es noch obendrauf. Das klingt erst einmal wie der Traumjob, oder?

Was würdest du aber sagen, wenn an dem voll möblierten Appartement nichts verändert werden darf. Es ist funktional eingerichtet, es fehlt an nichts. Trotzdem würdest du gerne deine persönliche Note mit einbringen, das Bild mit Erinnerungen, dein Lieblingskissen, aber du darfst nichts verändern?

Der Job fordert dich völlig, du hast kaum noch freie Zeit um dich mit Freunden zu treffen oder einfach mal auf dem Sofa abzuhängen… es geht dir nicht gut, obwohl du doch alles hast, was man zum Leben braucht. Stimmt, aber das ist eben nicht alles.

Um unser emotionales Wohlbefinden wieder herstellen zu können, brauchen wir einen Ausgleich: wir müssen unsere Bedürfnisse befriedigen können: Freunde besuchen, einfach mal chillen und dazu gehört auch ein Lebensumfeld, in dem wir uns sicher und geborgen fühlen. 

Warum ich das alles erzähle? Weil es unseren Hunden häufig ganz genau so geht.

Katrin Voigt

Zwei Beispiele aus dem Hundealltag…

Schauen wir uns das Ganze mal anhand von Hundebeispielen an:

Da haben wir den Jagdhund George in Familienhand, nehmen wir mal an, es ist ein Setter. Er hat alles, was er zum Leben braucht: ein Zuhause mit vielen Hundekörbchen, das beste Hundefutter gibt es 2x am Tag serviert und die Mutti arbeitet ganz fleißig mit ihm in der Hundeschule: er macht Agility, einmal in der Woche geht es zum Mantrailing und dann auch noch zum Dummytraining. Mutti hat sich nämlich vor der Anschaffung eines Jagdhundes genau informiert: ein Jagdhund will beschäftigt werden.
Und trotzdem: unser George kommt zu Hause nicht zur Ruhe, vor allem dann nicht, wenn er vom Training kommt. Dabei müsste er doch total müde sein!
Das zweite Problem: obwohl wir so viel Mantrailing machen, kann Mutti den Hund kaum von der Leine lassen, da er sofort stöbert und kaum ansprechbar ist. Dabei sollte er bei all dem Trailen doch ausgelastet sein?

Anderes Szenario:
die Familie hat sich entschlossen: ein Hund aus dem Ausland soll es sein. Einer aus der Tötungsstation, der sein Leben lang auf der Straße gelebt hat, soll einziehen.
Dem neuen Familienmitglied soll es an nichts fehlen! Er bekommt das tollste Hundebett gekauft, gerne darf er auch auf das Sofa. Es wird viel Hundespielzeug angeschafft und natürlich auch das beste Hundefutter.

Dann ist es endlich soweit, und der Vierbeiner Willi zieht ein. Aber anstatt dankbar zu sein, liegt Willi in einer Ecke, aus der er sich nicht raus traut, verschmäht jegliches leckere Häppchen und beachtet die Spielzeugkiste, Sofa und Hundebett keines Blickes. Möchten die Kids mit Willi spielen oder Gassi gehen, will er meist nicht mal mit – man muss ihn mit nach draussen ziehen.
Wieso sträubt sich der Hund so? Er müsste doch dankbar sein, dass wir ihn gerettet haben?

 

Was hat das Menschenbeispiel mit George und Willi zu tun?

Auch unsere Hunde haben Bedürfnisse, die befriedigt werden sollten, um ein emotionales Wohlbefinden zu erreichen. Aber den Hunden fehlt es ja an nichts, also müsste es ihnen doch bei uns gut gehen? Schauen wir uns das Jobbeispiel oben an: der Chef hat doch auch an alles gedacht, und trotzdem geht es uns nicht gut.

Vielleicht geht es dem Setter George wie einem hart arbeitenden Menschen – vor lauter Jobs hat er keine Zeit mehr für seine Hobbys.
Aber Agility, Dummyarbeit und Trailen sind doch seine Hobbys?
Das denkst Du, vielleicht ist es aber vielmehr nur ein Job. Lieber würde er im Feld Wild aufspüren, vorstehen, sich anschleichen und dann auch mal einen Vogel aufscheuchen dürfen. Vielleicht möchte er einfach mal ohne Leine durch die Gegend flitzen, sich in Kacke wälzen und nach den Hundemädels Ausschau halten?

Und wie sieht es bei dem Hund Willi aus demTierschutz aus? Er hat vielleicht sein Leben lang auf der Straße gelebt, Gebäude und Häuser hat er bislang nur von außen gesehen. Besonders gerne hat er den Abfall der Menschen durchsucht, weil es hier immer mal Leckereien gegeben hat, die weggeschmissen wurden. Der Lieblingsplatz war auf einem Hügel, wo man die ganze Gegend beobachten konnte.

Was will ich damit sagen? Er kennt das Leben in einem Haus nicht. Ohne Artgenossen, mit Zweibeinern. Und dann ist da auch noch ein Dach über dem Kopf. Vielmehr würde der Vierbeiner gerne wieder unter freiem Himmel schlafen. Schon gar nicht möchte er von den Zweibeinern an die Leine genommen werden und in den Wald geschleift werden. Man ist schutzlos ausgeliefert, kann sich nicht zurückziehen oder verstecken, weil immer der Zweibeiner dran hängt.

 

Frustration und Stress – die Türöffner für weitere problematische Verhaltensweisen

Zwei extreme Beispiele, zugegeben. Und trotzdem bin ich in meiner Praxis tagtäglich damit konfrontiert. Es gibt eine Gemeinsamkeit in beiden Fällen: die Tiere können nicht ausreichend ihren aktuellen Bedürfnissen nachgehen: Frustration und chronischer Stress sind die Folge – der Türöffner für die Entstehung weiterer problematischer Verhaltensweisen wie Angst und Aggressionsverhalten oder schlecht zu kontrollierendem Jagdverhalten.

Natürlich kann man an dem Problemverhalten trainieren, es gibt auch erste Verbesserungen, trotzdem will sich der Erfolg nicht so richtig einstellen. Das geht auch nicht, so lange wir nicht an der Basis etwas verändert haben. Wir müssen es schaffen, dass der anvertraute Vierbeiner sich bei uns wohlfühlt und dazu gehört ganz dringend die Berücksichtigung der Bedürfnisse des Hundes.
Damit meine ich natürlich nicht, wir machen halt beim Setter im Feld die Leine ab und er darf fröhlich das Wild aufscheuchen, wie er möchte. Aber: es gilt Alternativen zu schaffen, die genau diese Bedürfnisse befriedigen.

Die ersten Schritte in Richtung Bedürfnisbefriedigung

Nimm dir eine Woche Zeit, deinen Hund in verschiedenen Situationen zu beobachten. Vielleicht picken wir uns erst einmal zwei Bereiche raus: 

  • wie verhält sich dein Hund zu Hause? Was sind seine Lieblingsplätze, womit beschäftigt er sich, wenn du gerade keine Zeit für ihn hast? Wieviel Zeit verbringt er mit Schlafen? Vielleicht beobachtet er auch gerne die Umwelt aus dem Fenster?
  • wie verhält sich dein Hund auf dem Spaziergang? Ist er eher schnell oder langsam unterwegs? Schnüffelt er viel oder flitzt er lieber durch die Gegend? Scannt er gerne die Umgebung ab? Was macht er, wenn ein Artgenosse auftaucht? Gibt es bestimmte Orte, die er gerne aufsucht?

Welche Verhaltensweisen zeigt dein Hund regelmäßig, vielleicht auch täglich? Das sind die Verhalten, die dein Hund besonders gerne mag. Es ist ihm ein Bedürfnis, diese Verhaltensweisen ausleben zu können.

Bedürfnisbefriedigung anhand unserer Beispiele

Der Moment, in dem George zu Hause zur Ruhe kommt, ist abends auf dem Sofa, wenn die Mutti ihn streichelt. Häufig sitzt er über den Tag am Gartenfenster und beobachtet die Vögel draussen.
Auf dem Spaziergang schnüffelt er gerne am Boden, dabei ist er eher schnell unterwegs. Ist das Gelände überschaubar, bleibt er einfach stehen, beobachtet die Umwelt und manchmal rennt er einfach große Kreise. Sieht er einen Bewegungsreiz am Horizont, rennt er hin, wenn ihn die Leine nicht abhält. Andere Menschen und Hunde werden kaum beachtet, Wildspuren oder sichtiges Wild sind viel spannender.
Perfekt: jetzt haben wir doch schon einige Bedürfnisse rausgepickt:

  • die Gegend beobachten und auch mal auf Bewegungsreize reagieren dürfen
  • große Kreise ziehen dürfen
  • den Boden nach Wildspuren abschnüffeln
  • mit der Mutti kuscheln

Vergleichen wir jetzt einmal die Bedürfnisse mit den „Jobs“, die er in der Hundeschule absolviert, sind da sicherlich Überschneidungen, man darf Spuren verfolgen, wenn auch Menschenspuren – aber die Leine ist dran. Beim Agility darf man flitzen, aber man muss sich auch zwischendurch zurücknehmen – Kontaktzonen nicht überlaufen und den Slalom fehlerfrei absolvieren. Und beim Dummytraining darf man doch flitzen und sogar fliegenden Dummies hinterherlaufen? Ja stimmt, aber auch hier muss man warten oder wird zwischendurch durch den Stopp Pfiff ausgebremst.

Ich will keine Spaßbremse sein, aber: unser Setter muss immer Kompromisse eingehen und sich zurücknehmen. Und da ist sie wieder, die gut bekannte Frustration. Viel schöner wäre es doch, einem Ball sofort ohne warten hinterherlaufen zu dürfen. Einen Bereich oder eine Wiese zu haben, wo man ohne Einschränkung der Leine einfach mal flitzen darf. Eine künstlich gelegte Spur mit Würstchenwasser oder Pansen, die man ohne Leine in schnellem Tempo verfolgen darf. Und es gibt noch so viel mehr alternative Beschäftigungen, die genau diese Bereiche des Hundes ansprechen und die gemeinsam mit der Bezugsperson ohne viel Aufwand aufgebaut werden können.
Der Nebeneffekt: der Vierbeiner ist nach dem Gassi wirklich zufrieden und kommt vielleicht viel schneller zur Ruhe. Zumindest, wenn die Mutti ihn unterstützt und sich ein paar Minuten Zeit nimmt um noch eine Runde auf dem Sofa zu kuscheln.

Jetzt wird es etwas kniffliger, wir schauen uns den Vierbeiner aus dem Tierschutz an:
Es fällt ihm schwer, sich auf die komplett neue Umwelt einzustellen. Natürlich kann ich ihn nicht wieder auf die Straße schicken, aber ich kann ihn unterstützen, sich anzupassen. 

Vielleicht kann er erst einmal in einem geschützten Bereich auf der Terrasse schlafen, mit der Möglichkeit, jederzeit in den Hausflur zu gelangen. Möglicherweise kann er das Futter besser annehmen, wenn er es suchen darf, so wie er es sein Leben lang gemacht hat. Für Willi ist es sicherlich auch gerade kein Bedürfnis Gassi zu gehen, vielmehr ist er damit beschäftigt, sich die neue Umwelt anzuschauen und sich auf das neue Zuhause einzulassen.
Es ist nicht schlimm, wenn dieser Hund erst einmal nicht Gassi gehen möchte. In den ersten Wochen ist die Erkundung des näheren Umfelds dran und dazu gehört auch ein Schlafplatz, wo man sich sicher fühlt. Und auch wenn es für uns schwer verständlich ist: es ist erst einmal nicht das gemütliche Hundebett im Wohnzimmer.

Und auf noch eins müssen wir Rücksicht nehmen: Bedürfnisse ändern sich. Und zwar ein Leben lang. Anpassung, Lernen, Veränderungen im Umfeld und älter werden machen es möglich. Es kann gut sein, dass unser Tierschutzhund in ein paar Jahren gemütlich im Wohnzimmer liegt und gerne mit den Kids spazieren geht. Unsere Tiere haben sich uns nicht als Bindungspartner ausgesucht, umso wichtiger, sich auf ihre Bedürfnisse einzulassen.

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Emotionales Wohlbefinden – der wichtigste Baustein

Es gilt also den eigenen Hund gut zu beobachten. So neutral wie möglich. Strichlisten helfen dabei, häufig auftretende Verhaltensweisen leicht zu dokumentieren. Ganz schnell können dann die ersten Veränderungen durchgeführt werden.
Der schöne Nebeneffekt: Hintergrundstress und Frustration treten in den Hintergrund. Neue Verhaltensweisen können leicht aufgebaut werden, Training macht wieder Spaß. Und so manch ungeliebte problematische Verhaltensweise verschwindet fast von selbst.

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