Schilddrüsenerkrankungen – Inwiefern sind Hunde in der Jugendentwicklung betroffen

Ein in der Hundewelt hochemotional diskutiertes Thema: die Schilddrüse und ihr Einfluss auf das Verhalten.
Mir werden in der letzten Zeit immer häufiger junge Hunde vorgestellt mit dem Verdacht einer Schilddrüsenproblematik. Aber ist eine Erkrankung der Schilddrüse wirklich so häufig, wie in der Hundewelt behauptet wird? Sind wir Tierärzte wirklich „so blöd“ und haben keine Ahnung, wenn wir behaupten, der Hund hat nichts an der Schilddrüse? Oder müssen wir das Ganze einfach etwas differenzierter betrachten. Ihr merkt, auch ich werde emotional bei dem Thema. Aber erst einmal der Reihe nach.

Die Unterfunktion der Schilddrüse und ihr Einfluss auf das Verhalten

Beim Hund haben wir es insbesondere mit einer Unterfunktion der Schilddrüse zu tun, entweder autoimmun bedingt oder eine nicht entzündliche Atrophie der Schilddrüse. Offiziell anerkannt ist als Verhaltenssymptom Trägheit. In der Praxis haben wir es aber häufiger mit ängstlichen, manchmal auch aggressiven und sehr aktiven Hunden zu tun. Wie kann das sein?

Die Antwort: wir wissen es nicht. Es sind Erfahrungswerte, die Studienlage zu diesem Thema ist dünn, häufig sind es Besitzerbefragungen, eine objektive Beantwortung ist fraglich.

Zudem spielt die extrem unterschiedliche Interpretation der Laborwerte unter Praktikern, Verhaltenstherapeuten, aber auch unter Trainern und betroffenen Hundehaltern eine wichtige Rolle.

Hund am Meer

Ist der Hund in der Jugendentwicklung betroffen von einer Schilddrüsenerkrankung?

Aus meiner Sicht werden gerade junge Hunde zu früh und vielleicht auch manchmal unbegründet unter eine Schilddrüsenmedikation gesetzt. Wie ich darauf komme? Schauen wir uns das Ganze mal genauer an.

Was zeigen Hunde in der Jugendentwicklung für Verhaltenssymptomatiken:

  • sie reagieren schnell emotional, rutschen schnell ins Aggressionsverhalten, sind schnell frustriert
  • sie zeigen plötzlich heftige Angstreaktionen auf bereits bekannte Reize
  • sie sind unkonzentriert und schnell abgelenkt
  • sie kommen schlecht zur Ruhe und zeigen schnell eine hohe Erregungslage mit hohem Aktivitätslevel

Ich denke, ihr könnt euch ein Bild machen. Das Problem: genau diese Symptomatiken können auch bei einem Hund auftreten, der an einer beginnenden Schilddrüsenunterfunktion leidet. Lässt man nun Blut untersuchen, dann findet man oft folgendes Bild:

T4 und fT4 im unteren Drittel, TSH meist niedrig, auch T3 und fT3 sind eher niedrig, 

Nun stellt sich die Frage, haben diese Hunde denn alle eine Schilddrüsenerkrankung?

Ein klares Nein! So einfach kann man das nicht sagen!

Die Problematik: der jugendliche Hund steht unter starken hormonellen Schwankungen, hier fallen uns in erster Linie die Geschlechtshormone ein, die kurz vor der Geschlechtsreife stark ansteigen. Geschlechtshormone alleine beeinflussen aber nicht das Verhalten. Es ist vielmehr ein Wechselspiel zwischen Hormonen und Neurotransmittern. Auch die Schilddrüsenhormone werden vom Anstieg der Geschlechtshormone beeinflusst, aber wir haben hier eher einen Anstieg zu erwarten, insbesondere von T4! Gerade bei jungen Hunden finde ich tatsächlich häufig zwei Extreme in den Hormonwerten: entweder sie kratzen am unteren Rand oder sie sind im oberen Bereich der Referenz!!

Aber es gibt noch einen weiteren Hauptakteur in der Jugendentwicklung, der meist vernachlässigt wird: das Cortisol.

Jugendliche Hunde sind schnell gestresst. Unter Stress zeigen sie eine langandauernde und relativ hohe Cortisolausschüttung. Wenn wir uns nun die Verhaltenssymptomatiken anschauen, dann passt das genau zu einem chronisch gestressten Tier: man hüpft schneller aus dem Fell, ist ungeduldig, ist eher auf der Hut…

Ganz wichtig: Cortisol hat einen Einfluss auf die Schilddrüsenhormone: sie sinken unter Cortisol. Schauen wir uns nochmal die oben aufgeführten Schilddrüsenwerte betroffener Hunde an, dann sind es genau die Schilddrüsenwerte, die wir häufig bei chronisch gestressten Hunden sehen.

Als ob das nicht reichen würde, sehen wir noch ein Phänomen bei heranwachsenden Tieren. Das Gehirn befindet sich in einem Umbauprozess. Die Großhirnrinde ist gerade wenig aktiv, Verbindungen werden abgebaut, wir haben im wahrsten Sinne des Wortes Baustelle im Großhirn. Dagegen ist das emotionale Zentrum, der Mandelkern sehr aktiv, deutlich durchblutet und vergrößert. Hier findet die erste emotionale Bewertung von eintreffenden Reizen statt. Emotionen wie Angst und Aggression werden hier aktiviert. Die Großhirnrinde ist die einzige Instanz, die bremsen könnte, aber: die funktioniert ja gerade nicht gut! Was sehen wir also: einen Hund, der ständig aus dem Fell hüpft und sich nicht kontrollieren kann.

Der Junghund aus dem Tierschutz

Straßenhund

Und dann haben wir noch ein weiteres Problem: Eine große Zahl an Junghunden, die wir in der Praxis vorgestellt bekommen, stammen aus dem Tierschutz, hier vor allem aus dem Ausland. Sie sind an eine andere Umwelt sozialisiert, bringen häufig enorme Angstsymptomatiken mit, natürlich stehen Sie unter Dauerstress und natürlich sind hier auch sekundär die Schilddrüsenhormone betroffen. Hinzu kommt, dass andere Erkrankungen meist nur unzureichend ausgeschlossen sind. Manchmal wurde nicht einmal ein Reisekranheitenprofil erstellt. Denn: jede Erkrankung ist ein Stressor für den Körper und hat damit Einfluss auf die Schilddrüse.

Vorgehensweise beim juvenilen Hund

Viele jugendlichen Hunde haben – zumindest für eine gewisse Dauer – Schilddrüsenwerte im unteren Bereich. Um auszuschließen, dass nicht doch eine Schilddrüsenunterfunktion vorliegt, können folgende Punkte untersucht werden:

  • Ein großes Blutbild inkl. der Bestimmung aller Organwerte und bei Hunden aus dem Ausland ein Reisekrankheitenprofil zum Ausschluss anderer Ursachen
  • Bestimmung der Autoantikörper: wenn bei jungen Hunden eine Schilddrüsenproblematik vorliegt, dann ist es tendenziell eher die autoimmunbedingte Thyreoiditis. Vorsicht gilt jedoch bei der Interpretation der Autoantikörper: nur Antikörper, die oberhalb der Referenz liegen, dürfen als positiv betrachtet werden. Werte unterhalb der Referenz sind aufgrund des komplizierten Testverfahrens nicht eindeutig auf Autoantikörper der Schilddrüsenhormone zurückzuführen und müssen als negativ interpretiert werden. Zudem kommt, dass nicht jeder Hund mit positivem Antikörper-Titer in der Zukunft eine Unterfunktion entwickeln muss.

Ist das Ergebnis nicht eindeutig, schauen wir uns an, wo wir Stress reduzieren können, ob andere Ursachen genügend abgeklappert sind und dann wird die Untersuchung in 3 Monaten untersucht.

Nicht selten sind die Hunde 3 Monate später sogar an der oberen Grenze der Referenz. Wie gesagt, gerade bei jungen Hunden scheinen die Schilddrüsenwerte extrem zu schwanken. Eine einmalig niedrige Messung reicht also zur Diagnose nicht aus!

Zugegeben: manch jugendlicher Hund legt schon ein ziemlich krasses Verhalten an den Tag. Wenn wir aber mal den Menschen in der Jugendentwicklung betrachten: haben wir hier nicht auch extrem unterschiedlich ausgeprägte Verhaltensveränderungen? Und hier käme erst einmal niemand auf die Idee, das Ganze der Schilddrüse in die Schuhe zu schieben!

Du möchtest mehr über das Thema Schilddrüse wissen, dann biete ich in den nächsten Wochen folgende Angebote an:

Online Seminar: Alles Schilddrüse oder was? am 17.07.22
Hier geht es zur Anmeldung.

Weibnar bei dog-ibox: Alles Schilddrüse oder was? Spagat zwischen Klinik, Verhalten und aktuellem Forschungsstand am 22.09.22
Mehr erfahren und anmelden könnt ihr euch hier >

Fazit:

Bitte vertraut eurem Tierarzt, wenn er sagt, dass der Hund wahrscheinlich keine Hypothyreose hat. Wendet euch gerne für eine 2. Meinung an einen verhaltenstherapeutisch arbeitenden Tierarzt und lasst ihn das Ganze noch einmal beurteilen. Hinterfragt bitte ausreichend andere Ursachen und schaut, wo Stress reduziert werden kann. Holt euch Unterstützung in Sachen Training und überfordert den jugendlichen Hund nicht.

Das Gute: die Jugendentwicklung ist ja irgendwann vorbei 😉